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Vorbereitet – aber auch gebraucht?

In Krisen und Umbruchphasen sah sie Chancen zum Neuanfang und zu Reformen. Nach dem Zusammenbruch 1945 hatte Deutschland die Chance zu einem wirklichen demokratischen Neuanfang, nur wurde sie kaum genutzt. Kritische Personen wie Anna Siemsen waren zu unbequem, als dass man sie zu Rate ziehen wollte. Im Nachkriegsdeutschland wurde es versäumt, ihren Erfahrungen, ihrem Wissen und ihrem Können einen Raum zu schaffen, in dem sie hätte wirken können - einen Raum für Fragen, die am Ende des 20. Jahrhunderts keinesfalls an Aktualität verloren hat. Als Bilanz lassen sich folgende Schwerpunkte erkennen:

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland galt die NS-Vergangenheit als beendet - sie wurde für beendet erklärt. Aber Macht, Terror, Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen durch die Nationalsozialisten gehören zur Vorgeschichte der neuen Bundesrepublik. Öffentlich wurde die Vergangenheit beendet - im Stillen konnte sie weiterwachsen. Roman Herzog sagte anlässlich des 60. Jahrestages der Novemberpogrome, dass das Vergessen der Vergangenheit eine "intellektuelle Feigheit" sei. Solange man sich mit der Vergangenheit und der Verantwortung für sie nicht auseinandersetzt, sie scheinbar absichtlich ausblendet, liegt die Vermutung nahe, dass dahinter Methode und Absicht stecken. Neben den Verbrechen der Nationalsozialisten wurde aber auch noch etwas anderes vergessen bzw. verdrängt: Es gab neben der auf Hitler und den faschistischen deutschen Staat fixierten Erziehung auch eine andere, antinazistische Pädagogik: im jüdischen Bildungswesen, im Widerstand und im Exil. So bemerkt Wolfgang Keim: "Die Aneignung der demokratischen Weimarer Reformpädagogik und ihrer Fortsetzung im Exil, die Verarbeitung der Erfahrungen jüdischer Kinder und Jugendlicher im damaligen nichtjüdischen und jüdischen Bildungs- und Erziehungswesens wie nicht zuletzt das Nachdenken über Opposition und Widerstand in pädagogischen Kontexten hätten nach 1945 zu anderen Weichenstellungen für Disziplin und Profession führen können."

Hier hätte der Neuanfang für die deutsche Nachkriegspädagogik liegen können und müssen! Es gab Pädagogen und Pädagoginnen - wie das Beispiel Anna Siemsens zeigt -, die bereit waren, daran mitzuarbeiten. Statt dessen erfolgte ein geradezu nahtloser Übergang und die Übernahme selbst schwer belasteter PädagogInnen. Eine Disziplin, die ihre Wurzeln - oder Teile davon - verleugnet, ist nicht nur lückenhaft, sie verliert auch den Bezug zu Teilen ihres Ursprungs. Und dies wirft Fragen auf in bezug auf die heutige Erziehungswissenschaft: Wäre sie in heutiger Zeit gefeit vor einem erneuten Erstarken neofaschistischer Tendenzen, oder würde sie sich wie 1933 zu einem großen Teil anpassen lassen bzw. selbst anpassen? Bildung

Bei den geforderten Reformen des Bildungs- und Erziehungswesens ging es Anna Siemsen, wie sie selber schrieb, "um Durchdringung der alten Lehrpläne mit einem ganz neuen Geist". Ihr Wunsch, am Wiederaufbau des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens mitzuhelfen, ging nicht in Erfüllung. Im Vergleich zum Schulsystem der Weimarer Republik ist das heutige tatsächlich durchlässiger, Wechsel zwischen unterschiedlichen Schultypen sind möglich, und das Schulgeld ist abgeschafft bzw. Lehrmittelfreiheit gegeben. Der Blick auf die Sozialstruktur der Gymnasien und Hochschulen dagegen zeigt ein anderes Bild: Kinder aus sozial benachteiligten Schichten sind dort nach wie vor unterrepräsentiert. Eine gute (Aus-)Bildung kostet viel Geld. Auch heute noch - wenn auch nicht so offensichtlich wie zur Zeit Anna Siemsens - spiegeln sich bestehende Machtstrukturen im Bildungswesen wider. Somit behalten die Schriften Anna Siemsens bis heute ihre Gültigkeit.

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